Zusammenfassung

Julian geht in die 4. Klasse in Berlin. In seiner Freizeit spielt er Handball und isst wahnsinnig gern Eis. Macht er gerade keines von Beidem, feuert er meistens den Handballverein Füchse Berlin an. So oft er kann streift er sich sein Füchse-Trikot über und geht zu den Heimspielen in den Fuchsbau im Norden von Berlin. Dort wartet sein Freund Fuchsi, das  Maskottchen auf ihn. Die beiden sind dicke Freunde.


Beim letzten Heimspiel ist von Fuchsi jedoch weit und breit nichts zu sehen. Komisch. Ein Heimspiel ohne Fuchsi hat es noch nie gegeben. Das weckt Julian‘s Detektivspürsinn. Ohne zu zögern begibt er sich auf die Suche. Ehrgeizig wie Silvio Heinevetter, schnell wie Hans Lindberg, mutig wie Paul Drux und fair wie sein Lieblingsspieler Fabi Wiede kommt er der Wahrheit Stück für Stück näher. Eines ist klar: Füchse Berlin ohne Fuchsi ist wie Eisessen ohne Eis. Die Suche beginnt…

 

1. Kapitel: HIER IST UNSER REVIER

„Steht auf, wenn ihr Füchse seid“, schallt es durch die Lautsprecher. Der Hallensprecher des Handballvereines Füchse  Berlin schreit so laut er kann. Alles kann man drei Mal hören. „Füchse, Füchse, Füchse“. Im Fuchsbau, so heißt die Halle der Füchse Berlin, ist es jetzt lauter als auf einem Rummel. Julian hält es nicht mehr auf seinem Sitzplatz.


Im Fuchsbau kennt er sich bestens aus. Ganz oben im Rang hat man den besten Blick auf das 9 gesamte Spielfeld. Leider aber schauen die Spieler von da oben aus wie kleine Spielfi guren, weil man sehr weit weg sitzt. Will Julian richtig nah bei den Spielern sein, setzt er sich hinter eines der Tore. Julian schaut besonders gern zu, wenn die Spieler zum Sprungwurf ansetzen. Zum Glück sind hinter den Toren Netze gespannt, denn nicht alle Würfe landen im Kasten, wie das Tor unter Handballspielern heißt. Bis zu 150 km/h schnell werden dabei die Bälle, die das Netz aushalten muss. Das ist in etwas so schnell wie Julian’s Eltern auf der Autobahn Auto fahren. Oder besser gesagt seine Mama. Papa sitzt meistens auf dem Beifahrersitz. Julians Lieblingsplatz ist auf der Gegengerade, im Unterrang, Block L. Hier kann er das ganze Spielfeld inklusive beider Tore überblicken und ist nah dran. So wie heute. Das Licht in der Halle 10 geht aus. Es ist still. Einzig die Siegerfl aggen der Füchse Berlin wehen an der Decke hin und her. 

 

Deutscher Pokalsieger 2014, Super Globe Sieger 2015 & 2016 sowie EHF Pokalsieger 2015 und 2018. Ziemlich beeindruckend. Einmal so einen Pokal gewinnen, das wäre etwas, denkt sich Julian. Die Einlaufshow beginnt. Musik ertönt und Rauch verteilt sich über das Spielfeld. In einer Spielfeldecke erhebt sich ein riesiger aufblasbarer Fuchs. Seine Augen leuchten blutrot. „Hier ist unser Revier“, tönt es aus den Lautsprechern. Nach und nach kommen die Spieler aus dem Maul des Fuchses auf das Spielfeld gelaufen. Meistens turnt dabei das Maskottchen Fuchsi umher. Fuchsi ist nicht nur ein Maskottchen, er ist ein Teil der Mannschaft. Seine Aufgabe ist es, die Zuschauer und Spieler anzufeuern und für die richtige Stimmung im Fuchsbau zu sorgen. Dafür hat er sogar eine eigene Trikotnummer. Die Nummer Acht. Das Kostüm ist ein lebensgroßer Fuchs mit langen Ohren, einer großen Fuchsschnauze, einem weichen Fell und einem Fuchsschwanz. Unter dem Fuchsikostüm steckt natürlich ein Mensch. Irgendwann möchte Julian auch mal darin stecken. Dafür muss er 18 Jahre sein und sich in einem strengen Auswahltest gegen viele Mitbewerber durchsetzen. Bis dahin ist aber noch etwas Zeit und so macht Julian bei jedem Besuch im Fuchsbau ein Foto mit Fuchsi. Man könnte sagen, die beiden sind Freunde. Doch heute ist von Fuchsi weit und breit nichts zu sehen. Hans Lindberg mit der Trikotnummer 18 ist auf Rechtsaußen – wie immer – schnell unterwegs. Hans ist nicht der größte Handballspieler, dafür aber einer der schnellsten und erfahrensten. Er spielt seit mehr als 15 Jahren Profi handball. Kaum hat er den Ball, täuscht er eine seitliche Bewegung an. Der Gegner fällt drauf rein und Hans hat freie Bahn. Mit Routine zieht er an den Kreis und überwindet den Torhüter mit einem schönen Wurf ins lange Eck. Tor. „Der Hans, der Hans, der Hans, der kanns“, schallt es durch die Lautsprecher und alle Zuschauer rufen seinen Namen. Mit zwei Toren Vorsprung geht es für die Füchse in die Pause. Danach läuft es jedoch nicht so gut. Die Füchse spielen drei, vier Querpässe, dann eine Täuschung für einen Wurf aus der zweiten Reihe, kurzer Blick, Pass an den Kreis, Torwurf …

 

Z I S C H,

 

rechts am Außenpfosten vorbei. Ungefähr ein Meter. Der Angriff ist gut gespielt, nur der Torwurf nicht präzise genug. Julian kennt das, es passiert ihm auch manchmal, wenn er sich nicht konzentriert. Schon läuft ein Konter und der Gegner taucht mit zwei Pässen vor dem Tor der Füchse auf. Julians Lieblingsspieler Fabian Wiede, auch genannt Fabi Wiede, ahnt den Spielzug und rennt schnell an den eigenen Kreis zurück. Fabi spielt seit 2009 bei den Füchsen. Mit einer geübten Bewegung greift er an den Oberarm des Gegners und unterbindet so den entscheidenden Pass an den Kreis. Gut gemacht, denkt sich Julian. Doch der Schiedsrichter pfeift und entscheidet auf gefährliches Spiel. Obendrauf bekommt Fabi noch eine gelbe Karte. Der schaut zuerst verwundert zu den Schiedsrichtern und dann zu seinem Trainer. Das ist keine gelbe Karte. Seine Hand war eindeutig am Arm und nicht am Hals. Doch die Schiedsrichter haben sich entschieden.

Und was die Schiedsrichter entscheiden, gilt. Fabi ist bekannt dafür, fair zu spielen. Er ärgert mächtig sich über diese unberechtigte Verwarnung. „Unfair!“ Julian schreit so laut er kann, aber der Schiri hört nicht auf ihn, wie immer. Julian mag es gar nicht, wenn es ungerecht zugeht. Kürzlich hat er selbst eine unberechtigte gelbe Karte im Verbandsspiel bekommen und weiß, wie man sich da fühlt. Eine Minute vor dem Spielende steht es 22:21 für die Füchse. Im Angriff geht ein Spieler der Füchse zu Boden. Foul. Der Gegner hat am Trikot gezogen. Zum Glück hat sich keiner verletzt. Der Schiedsrichter verteilt eine Zwei-Minuten Strafe und der Gegenspieler darf für 2 Minuten das Spielfeld verlassen. Sofort ruft der Hallensprecher: „Ene, mene, muh“. Die Zuschauer inklusive Julian wissen, was zu tun ist und antworten, so laut sie können: „Und raus bist du“. So wird der Spieler vom Spielfeld geleitet. Julian schaut zufrieden. Strafe muss sein, am Trikot ziehen ist schließlich nicht erlaubt. Das hat Julian im Handballtraining schnell gelernt und schaut auf sein eigenes Original-Füchse-Trikot. Papa hat es ihm letzte Saison gekauft. Es ist noch ein wenig groß, aber so kann er es länger tragen. Keine schlechte Idee, obwohl er nicht glaubt, dass es Absicht war. Papa ist nicht wirklich ein Experte, was Anziehsachen angeht. Auf jeden Fall ist Julian sehr stolz auf das Trikot. Sein Name ist in großen Buchstaben draufgedruckt.

 

J U L I A N. Zu gern würde er jetzt auf das Spielfeld runterlaufen und den 7-Meter für die Füchse werfen. Das bisschen Magensausen hält er bestimmt aus, wenn ihn mehr als 9.000 Zuschauer anfeuern. Doch Hans Lindberg steht samt Ball schon am 7-Meter Punkt. Na gut, dann wirft eben Hans. Der kann das auch richtig gut, denkt sich Julian und erinnert sich an das letzte Pokalspiel. Die gesamten 60 Minuten Spielzeit waren schon abgelaufen, als die Füchse noch einen allerletzten 7-Meter zugesprochen bekommen. Es steht 29:30. Die Füchse liegen mit einem Tor hinten. Geht der Ball rein, gibts Verlängerung. Was macht Hans? Der hämmert den Ball nicht etwa in eine der Ecken. Nein, er wirft einen coolen Heber über den Torwart hinweg. So was muss man sich erst mal trauen. Coole Socke, der Hans. Mit Nerven aus Stahl. Beim nächsten Training hat Julian gleich ein paar Heber versucht. Doch so einfach, wie es aussieht, ist das gar nicht. Wie hat der Hans das nur gemacht? Ob er heute wieder einen Heber versucht? Da ertönt der Pfi ff zur Ausführung. Kurze Verzögerung, der Wurf geht nach oben links. In Sekundenschnelle reißt der Gästekeeper seinen rechten Arm hoch. Hätte Hans mal doch einen Heber probiert.

 

K L A T S C H

 

Statt im Tor zu landen, prallt der Ball am Ellenbogen des Gästekeepers ab. Heute ist irgendwie kein guter Tag. Auch die Stimmung ist nicht wie sonst, als ob irgendetwas fehlt.

 

„Steht auf, wenn ihr Füchse seid“, dröhnt es wieder aus den Lautsprechern. Klar. Julian ist ein Fuchs. Er steht auf. Noch sind 30 Sekunden zu spielen. Der Ball wird von der Gästemannschaft hin und her gespielt. „Die wollen jetzt die Zeit runterspielen und dann mit dem letzten Angriff den Ausgleich erzielen“, klärt Julian seinen Papa auf. Diese Taktik hat er schon oft gesehen. Dann aber hebt der Schiedsrichter den Arm. Passives Spiel. Jetzt sind noch genau sechs Pässe bis zum Torwurf erlaubt. 6 - 5 - 4 - 3 - 2 - 1 - Torwurf. Nein. Ausgleich. 22:22. Julian rauft sich die Haare. Aus der zweiten Reihe geht ein Ball direkt oben links ins Toreck. „Der ist unhaltbar“, brummt er und verteidigt Heinevetter, den Torwart. Der ärgert sich mächtig und macht ein Gesicht als ob er jemanden erschrecken will. Heinevetter ist superehrgeizig und will jeden Ball halten. Den hier hätte er fast gehabt. Aber eben nur fast. Mit den Fingerspitzen berührt er den Ball, doch der ist zu hart geworfen und landet im Netz. Die Uhr steht bei 29:48. Noch sind genau 12 Sekunden zu spielen. Da ertönt die Sirene und der Füchse-Trainer legt die grüne Karte auf den Schiedsrichtertisch. Das heißt 60 Sekunden Teamauszeit. Die Füchse-Spieler besprechen den allerletzten und entscheidenden Spielzug. Alle sind sich einig: Ein Unentschieden im Fuchsbau ist wenig.

 

Los geht’s. Der Gegner verteidigt aggressiv und lässt die Füchse nicht in Wurfposition kommen. Die Uhr tickt. Der Ball kommt zu Hans Lindberg nach rechts außen, doch dort geht es nicht weiter. Schneller Pass zurück in die Mitte zu Fabi Wiede. Noch 6 Sekunden. Julian schaut gespannt auf das Spielfeld. Nochmal geht der Ball nach rechts außen. STOP. Das ist nur angetäuscht. Stattdessen geht Fabi Wiede links am Abwehrspieler vorbei, springt vor dem Kreis ab und wirft.

 

Z I S C H

 

Im Fuchsbau ist es mäusestill. Der Ball fliegt wie in Zeitlupe am gegnerischen Torwart vorbei und landet unten rechts im Tor. In dem Moment ertönt die Sirene und das Spiel ist aus. Gewonnen. In letzter Sekunde. 23:22. Julian jubelt von seinem Platz aus, fast so, als hätte er den entscheidenden Wurf selbst ausgeführt. Was für ein Spiel. Auf dem Nach-Hause-Weg springt Julian wie ein Flummi auf und ab. Das Spiel war spannend, aber irgendetwas war heute anders als sonst. Julian weiß es nicht genau. Zum Glück haben die Füchse gewonnen. „Papi, hast du gesehen, wie Fabi Wiede das letzte Tor geworfen hat? Antäuschen und dann links vorbeigehen. Peng. Schau mal!“ Julian macht die Bewegung mit einem ausgedachten Ball nach. „Fabi ist mein Lieblingsspieler, weißt du warum?“, sagt er stolz, ganz so, als ob die beiden beste Freunde wären. „Weil er auch so gern Eis isst wie du?“

„Haha, kann sein, aber das meine ich nicht. Wir wollen beide, dass es fair zugeht. Wenn er eine gelbe Karte bekommt, obwohl er gar nicht gefoult hat, regt er sich genauso auf wie ich.“

„Ach, ist das so?“

„Klar, das geht gar nicht. Also, wenn man foult und dann eine gelbe Karte bekommt, dann ist es ok. Aber sonst – das geht gar nicht!“ Als sie an der Straßenbahnhaltestelle ankommen, erinnert sich Julian, dass er Fuchsi heute gar nicht gesehen hat. Komisch, der turnt eigentlich bei jedem Heimspiel in der Halle rum.